Warum wir uns nicht für alles verantwortlich fühlen müssen – wie wir uns schützen und bei uns selbst bleiben
Wir müssen uns verantwortlich fühlen – aber nur für unser eigenes (Er)Leben
Jeder von uns hat schon Situationen erlebt, in denen wir uns verantwortlich fühlen oder die Emotionen anderer auf uns abgeladen wurden – sei es im privaten Umfeld, im Berufsleben oder in Gruppen und Vereinen. Wir alle kennen Menschen, die ihre Unstimmigkeiten wie Traurigkeit, Angst, Wut oder Unsicherheit an anderen auslassen. Dabei machen sie häufig andere für ihre Emotionen verantwortlich, sei es bewusst oder unbewusst.
Gleichzeitig neigen viele von uns dazu, sich selbst für die Gefühle anderer verantwortlich zu fühlen. Doch in den meisten Fällen sind wir lediglich der „Hubschrauberlandeplatz der Gefühle“, der unbeabsichtigt zu einem Ort wird, an dem andere ihre inneren Konflikte abladen.
In diesem Artikel schauen wir uns genauer an, warum wir uns nicht für alles verantwortlich fühlen sollten und wie wir gesunde Grenzen setzen können – sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Mit den richtigen Techniken können wir uns schützen und gleichzeitig respektvoll und wertschätzend mit uns und anderen umgehen.
Selbstvertrauen entsteht, wenn wir uns unserer selbst bewusst sind und uns selbst vertrauen. Wenn wir die eigenen Bedürfnisse und Fallstricke kennen und lernen, mit ihnen positiv umzugehen, statt andere Menschen als Plattform zu benutzen, um uns gut oder besser zu fühlen. Wenn wir uns selbst vertrauen, überlegen wir, für wen oder was wir Landeplatz sein wollen.
Wir müssen nicht immer weitermachen wie bisher
Ich denke dabei zum Beispiel an die emotional aufgeladene Weihnachtszeit, in der viele Menschen im Gefühlschaos versinken. Sie leiden nicht selten an Gefühlsbulimie und kotzen uns (sorry) im wahrsten Sinne voll mit ihren unsortierten und nicht geklärten Gefühlen. Wir müssen das nicht erlauben.
Wir sind nicht dafür da, dass andere sich an uns abarbeiten. Halten wir, bevor wir richtig wütend oder traurig sind, doch den Kotzeimer einfach neben uns, statt uns die Tasche vollschwatzen zu lassen. Bewegen wir uns wie ein Torero. Er hält das rote Tuch nicht vor seinen Bauch, sondern rechts oder links daneben, und lässt so den wütenden Stier ins Leere laufen.
Nicht jeden Ball, der uns zugespielt wird, müssen wir zurückspielen. Wir können ihn auch einfach neben uns auf den Boden plumpsen lassen. In dem Wissen, dass alle sich irgendwann wieder beruhigt haben, wird vieles leichter.
Wir müssen nicht immer reagieren. Es reicht auch ein neugieriges: »Aha, spannend«, ohne Bewertung. Und dann gehen wir einfach weiter. Dieses Ausprobieren und Trainieren lohnt sich – denn die Gefühlsbulimiker sind nicht nur an Weihnachten, sondern das ganze Jahr unterwegs.
Emotionale Projektionen und deren Auswirkungen
Projektion ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen ihre eigenen Emotionen oder Probleme auf andere übertragen. Oftmals projizieren wir unbewusst Gefühle wie Unsicherheit oder Ängste auf andere, um uns selbst zu entlasten. Umgekehrt kann es uns passieren, dass wir zum Ziel von Projektionen werden.
Beispiel aus dem Privatleben: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen engen Freund oder eine Freundin, die oft gereizt ist, wenn sie in stressigen Situationen steckt. Eines Tages wirft Ihnen diese Person vor, Sie seien zu wenig unterstützend, obwohl Sie im Grunde genommen nichts Ungewöhnliches getan haben.
Was hier passiert, ist eine Projektion: Ihre Freundin fühlt sich überfordert und entlädt diese Emotion an Ihnen, weil Sie in ihrer Nähe sind und Sie sie möglicherweise unbewusst an eine frühere Erfahrung erinnern.
In solchen Momenten ist es wichtig, innezuhalten und sich zu fragen: Bin ich wirklich dafür verantwortlich, dass diese Person sich so fühlt? Oder projiziert sie vielleicht ihre eigenen Emotionen auf mich? Indem wir diese Reflexion bewusst durchführen, können wir uns schützen und verhindern, dass wir die Emotionen anderer übernehmen.
Umgekehrt passiert es uns auch. Wenn wir vielleicht zum Beispiel den Mechaniker anmeckern, der uns die Rechnung für unsere Waschmaschine präsentiert und wir gerade knapp bei Kasse sind…
Warum wir uns nicht immer für die Gefühle anderer verantwortlich fühlen sollten
Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass wir als empathische Menschen für die Emotionen unserer Mitmenschen verantwortlich sind. Oftmals fühlt man sich schuldig oder überfordert, wenn man das Gefühl hat, anderen nicht ausreichend zu helfen.
Aber die Wahrheit ist: Jeder Mensch ist für seine eigenen Gefühle und das eigene Erleben verantwortlich. Während es natürlich in Ordnung ist, Empathie zu zeigen, sollten wir nicht in die Falle tappen, die Last der Emotionen anderer zu übernehmen. Weil wir vielleicht die Fähigkeit haben, ein Erleben auszulösen oder andere dies bei uns können – müssen wir nicht verantwortlich sein.
Natürlich ist es uns meistens unangenehm, wenn wir durch etwas, was wir sagen oder tun, jemanden traurig oder vielleicht auch mal wütend „machen“. Mit Abstand betrachtet erkennen wir ja oft, was im Eifer des Gefechts passiert ist.
Doch der Umgang damit und unser Erleben, egal auf welcher Seite wir stehen, liegt immer in der eigenen Verantwortung. Wir müssen nicht jede Kritik annehmen. Auch dürfen wir überprüfen, ob das, was gesagt wird, überhaupt stimmt.
Gedankenkarussel anhalten und klären: Was von dem, was gerade passiert, hat mit mir zu tun? Dabei ist es wichtig, auch darauf zu achten, dass es sehr gut möglich ist, dass es nichts mit uns zu tun hat und wir es auch in unseren Gedanken abhaken und weiterziehen lassen.
Im Berufsleben können wir ebenfalls auf dieses Phänomen stoßen. Vorgesetzte oder Kollegen lassen möglicherweise ihren Ärger oder ihre Unsicherheit an uns aus, weil sie selbst unter Druck stehen.
Ein typisches Beispiel ist, wenn der Chef in einer stressigen Phase einen Mitarbeiter zu Unrecht kritisiert. Es ist leicht, in solchen Momenten anzunehmen, dass man selbst einen Fehler gemacht hat, obwohl es vielleicht nur die eigene Unsicherheit des Chefs ist, die sich in seinem Verhalten zeigt.
Wie wir uns schützen können – Techniken, um bei sich selbst zu bleiben
WENN WIR MEHR VOM LEBEN WOLLEN, DANN NEHMEN
WIR UNS BESSER ZEIT FÜR UNSER EIGENES LEBEN
STATT FÜR DAS DER ANDEREN.
Es lohnt sich zu überprüfen, welche Muster wir im Alltag haben, was wir uns selbst immer wieder erzählen, und herauszufinden, was unser eigenes inneres Spiel ist. Je besser ich mir meiner selbst bewusst bin, desto besser klappt es auch im Außen.
Selbstreflexion:
Wenn Sie das Gefühl haben, für die Emotionen anderer verantwortlich gemacht zu werden, nehmen Sie sich einen wirklich ruhigen Moment Zeit, um die Situation zu reflektieren. Fragen Sie sich: Was ist mein Anteil an dieser Situation? Habe ich wirklich etwas getan, das diese Reaktion ausgelöst hat? Wenn ja – bin ich verantwortlich, weil ich etwas in meinem Gegenüber ausgelöst habe, oder muss die Person selbst klären, damit umzugehen? Oder verarbeitet die andere Person vielleicht gerade eigene Emotionen?
Distanz schaffen und für sich selbst sorgen
Es ist in Ordnung, emotionalen Abstand zu schaffen, wenn Sie merken, dass die Gefühle anderer Sie überwältigen. Dies bedeutet nicht, dass Sie unsensibel sind – im Gegenteil, es ist ein Akt des Selbstschutzes. Es ist auch okay sich erst einmal zu sammeln und in sicherer Distanz zu betrachten und nachzuspüren. In emotional aufgeladenen Situationen kann es helfen, ein paar Schritte zurückzutreten, sei es physisch oder mental. Dazu erzähle ich unten im Text auch noch ein amüsantes Beispiel.
Grenzen setzen – statt sich verantwortlich fühlen – sagen Sie, was für Sie wichtig ist
Eine klare Kommunikation ist entscheidend. Wenn Sie merken, dass Sie zur Zielscheibe von Projektionen werden, sprechen Sie es ruhig an: „Ich verstehe, dass Du Dich gerade überfordert fühlst, aber ich möchte nicht, dass Deine Wut an mir ausgelassen wird.“ Das Setzen von Grenzen ist nicht nur ein Zeichen von Selbstrespekt, sondern hilft auch, eine gesunde Beziehung zu anderen aufrechtzuerhalten.
Durchatmen – hören Sie auf „mitzuspielen“
Eine effektive Methode, um bei sich selbst zu bleiben, ist das bewusste Atmen. Einmal tief Luft holen. Man kann immer einer Situation direkt entfliehen – nicht als Flucht, sondern als Separator, um sich zu separieren und bewusst bei sich zu sein. Auf die Toilette „müssen“ kann man immer. Also sich kurz mal aus dem Spiel nehmen.
Es klingt verrückt, aber probieren Sie folgenden Tipp aus: Stellen Sie sich dann auf den Toilettendeckel und atmen ein paar Mal tief durch. Sie werden im wahrsten Sinne Abstand nehmen von dem, was da in Ihrer Welt gerade passiert. Sie distanzieren sich. Denn vieles, was uns widerfährt, hat gar nicht mit uns zu tun. Wir fühlen uns nur verantwortlich und reißen sogar Verantwortung an uns, die uns gar nicht gehört.
Distanzierung und Abstandsübungen können helfen, den Fokus auf das eigene Innenleben zu richten und sich nicht von den Emotionen anderer mitreißen zu lassen. Wenn Sie bemerken, dass Sie in eine negative emotionale Dynamik hineingezogen werden, nehmen Sie sich einen Moment, um tief durchzuatmen und sich zu zentrieren.
Selbstmitgefühl – sich für sich selbst verantwortlich fühlen
Oft sind wir selbst unser schärfster Kritiker. Es ist wichtig, Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln und sich daran zu erinnern, dass wir nicht immer die Kontrolle über die Emotionen anderer haben. Statt sich Vorwürfe zu machen oder endlos über die Anschuldigungen anderer nachzugrübeln, sollten wir uns daran erinnern, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen und dass jeder Mensch emotional auf unterschiedliche Weise reagiert.
Private und berufliche Beispiele, wo wir uns verantwortlich fühlen und für gesunde Abgrenzung
Beispiel aus dem Berufsleben: Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem Team, das ein wichtiges Projekt vor einer strengen Deadline fertigstellen muss. Ihr Vorgesetzter ist gestresst und lässt seinen Frust an Ihnen aus, obwohl Sie Ihre Aufgaben pünktlich und korrekt erledigt haben. In dieser Situation könnten Sie den Frust Ihres Chefs auf sich beziehen und sich schlecht fühlen. Aber mit der richtigen Reflexion können Sie erkennen, dass der Druck des Projekts nicht Ihre persönliche Verantwortung ist. Setzen Sie klare Grenzen, indem Sie ruhig und sachlich kommunizieren: „Ich verstehe, dass die Situation stressig ist, aber ich bin hier, um zu helfen, nicht um Vorwürfe zu erhalten.“
Beispiel aus einem Verein: In einem ehrenamtlichen Verein sind Sie Teil eines Teams, das Veranstaltungen plant. Ein anderes Mitglied des Teams reagiert gereizt und macht Sie für Fehler verantwortlich, die Sie nicht begangen haben. Hier ist es wichtig, die Situation objektiv zu betrachten. Vielleicht kämpft die Person gerade mit persönlichen Herausforderungen und projiziert diese auf das Team. Indem Sie sachlich bleiben und die Verantwortung ablehnen, können Sie unnötige Konflikte vermeiden.
Verantwortung für sich selbst übernehmen und gesunde Abgrenzung
Letztendlich sollten wir uns daran erinnern, dass wir nur für unsere eigenen Gefühle und Handlungen verantwortlich sind, nicht für die anderer. Indem wir uns selbst reflektieren, klare Grenzen setzen und Techniken wie Achtsamkeit und Selbstmitgefühl nutzen, können wir uns vor emotionalem Ballast schützen.
ES IST NICHT EGOISTISCH, SICH ZU DISTANZIEREN, WENN ES NÖTIG IST – IM GEGENTEIL, ES IST EIN ZEICHEN VON RESPEKT GEGENÜBER SICH SELBST UND ANDEREN.
Bleiben Sie sich selbst gegenüber achtsam und wertschätzend. Pflegen Sie gesunde Beziehungen, indem Sie erkennen, wann Sie sich abgrenzen müssen. So bleiben Sie emotional stabil und können gleichzeitig auf wertschätzende Weise mit den Gefühlen anderer umgehen, ohne sich selbst zu überfordern.