Mehr als Stille braucht es manchmal nicht
Innere Ruhe steht auf dem Wunschzettel der meisten Menschen ganz oben. Der Markt für ein Leben im Gleichgewicht boomt: Coaching, Retreat, Yoga, Kloster… Dabei sind unsere Probleme oft hausgemacht. Auch deren Lösung finden wir nicht, weil uns schlicht im Alltag die Stille fehlt. Gerade in Krisenzeiten brauchen wir die Pause.
Stille – unangenehm oder Luxusprodukt?
Bei der Stille ist es wie bei vielen Dingen: Es gibt immer zwei Seiten derselben Medaille. Das zeigt sich auch schon an der unserer sprachlichen Verwendung des Begriffs und dem, was wir damit verbinden:
- Windstille: Wenn der Erfolg ausbleibt und wir keinen Antrieb haben.
- Die Zeit steht still: Wenn wir in der Krise stecken und etwas sehr Emotionales unser Leben bestimmt.
- Morgenstille: Begeistert folgen wir unserem Tatendrang und sind enorm produktiv.
- Die Abendstille lässt uns dann zufrieden zur Ruhe kommen und auftanken nach einem guten Tag.
Sie wird mit Stillstand assoziiert und ist gleichzeitig das neue Luxusprodukt unserer Zeit. Wenn wir den äußeren Einfluss und Lärm in unserem Innen nicht mehr aushalten können, dann ziehen wir uns zurück. Freiwillig oder unfreiwillig. Wer es nicht mehr aushalten will, nimmt sich tägliche kleine Auszeiten und größere über das Jahr verteilt. Damit ist nicht nur Urlaub im klassischen Sinne gemeint. Sondern auch unfreiwillige, wenn wir von unserem eigenen Leben ausgebremst werden. Das muss nicht immer gleich ein Herzinfarkt sein. Manchmal sind es kleine andauernde gesundheitliche Unpässlichkeiten, die sich einschleichen: Schlafstörungen oder einfach fehlende Lebensfreude als warnender Vorbote.
Auch wenn wir uns oft nach ihr sehnen, empfinden wir die Stille dann doch oft als unangenehm: Kurz mal keinen Handyempfang, keine Chance zur Ablenkung oder Beschaffung wichtiger Informationen – schon werden wir innerlich und manche Menschen auch äußerlich nervös.
Stille ist aushaltbar – Sie auch!
Es geht nicht darum, die Stille, sondern viel mehr auch sich selbst mal auszuhalten. Im Schweigen hören wir die eigenen Antworten, nach denen wir oft suchen. Die Lösung für die Herausforderung, an der wir vielleicht bisher immer wieder gescheitert sind. Im Alltag wollen wir die Probleme immer schnell wieder lösen oder loswerden. Da nehmen wir oft den Spatz, der direkt auf der Hand liegt, statt die schöne Taube auf dem Dach zu erreichen. Wenn kein anderer uns dazwischen redet, können wir uns wieder eine eigene Meinung bilden, gut und richtig für unser eigenes Leben entscheiden und danach handeln. Dann ist automatisch das Ergebnis passend und stimmig.
Selbstwahrnehmung führt zu Selbstregulation
Jeder möchte souverän und selbstbewusst auftreten, ob nun bei der Arbeit, in der Partnerschaft oder im Freundes- und Familienkreis. Die eigenen Emotionen entschlüsseln und sich selbst zu verstehen ist, was uns selbstbewusst und handlungsfähig macht. Wir stehen zu uns – auch in Momenten der Zweifel und Widerstände, die zum Leben einfach dazugehören. Klarheit ist das direkte Ergebnis, wenn wir immer mal die Stille als unseren Freund annehmen.
Stille bedeutet Emotionen verstehen und besser zu kontrollieren
Stille ist wie (m)ein Kurzurlaub
Lärm begünstigt Stress und Streit, weil im Gehirn das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird. Die Folgen sind Ärger mit unseren Mitmenschen, die Entwertung der eigenen Persönlichkeit, Schlafstörungen, Unruhe und Aggressivität. Wer andersherum in der Stille tankt, spürt innere Ruhe, kann souverän mit anderen umgehen und schläft gut. Das Gehirn, unser körpereigener Computer, läuft einfach besser nach dem täglichen, in Ruhe durchgeführtem Update.
Heute will jeder etwas für die eigene Gesundheit tun. Sport, gesunde Ernährung und Nahrungsergänzung sind unser täglich Brot. Dabei steckt die Lösung für ein gutes Leben in uns selbst und nicht im Außen. Schon zwei Minuten Stille senken nachweislich den Blutdruck. Unabhängig davon, was wir an dem Tag gegessen haben. Tinnitus, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind keine Krankheiten der Midlife-Crisis mehr. Sie sind auch bei jungen Menschen erschreckender Standard. Man braucht dafür auch kein Manager zu sein. Hausfrauen mit kleinen Kindern sind ebenso im Burnout wie Führungskräfte großer Konzerne. Dabei ist es unerheblich, ob Sie ein oder mehrere Kinder haben – die Frage ist, wie viel Zeit Sie für die eigenen Bedürfnisse haben. Was will das Herz uns sagen, wenn der Blutdruck zu hoch oder zu niedrig ist? Sogar Kinder wissen heute schon nicht mehr, was sie selbst wollen in der Flut dessen, was angeboten wird. Die fürsorglichen Eltern, selbst überfrachtet, machen da dann oft auch noch viel Lärm um nichts und verwirren eine Situation weiter, die eigentlich weniger braucht.
Was bleibt, wenn andere mein Bestes wollen? Nix!
Wir müssen täglich Fluten von Informationen verarbeiten. Die Zeit selbst können und wollen wir gar nicht ändern. Der digitale Fortschritt hat es jedoch nicht leichter gemacht. Wir sind nun noch mehr selbst verantwortlich für unser Leben und für kluges Abschalten.
Und das ist zwischendurch notwendig. Fakt ist: Jeder kann mit einem fokussierten Gehirn besser arbeiten. Die Psychologin Bljuma Zeigarnik hat dies herausgefunden. Das Gehirn mag keine unabgeschlossenen Prozesse. Wenn wir also zu viele Bildschirme geöffnet haben, kann es nur zum Abfall der Leistung im System oder sogar zum Absturz kommen.
Stille schließt unsere inneren Vorgänge ab, egal wie weit wir gerade gekommen sind und sie hilft, Platz für das Wichtige in einer Situation zu machen. So bekommen Sorgen einen guten Platz und werden nicht rund um die Uhr bearbeitet. Was uns, wie wir alle wissen, sowieso nicht weiterbringt. Das Umschalten von einer Sache auf die andere fällt leichter. Reize werden verarbeitet – wir spüren Konzentration – Fokus – und unsere Erschöpfung wandelt sich in mentale Stärke und Leistung. Das sind die Tage, an denen wir glauben, auf einem Supermann/frau-Heft geschlafen zu haben. Ja, das können Sie öfter haben. Hören Sie auf, zu funktionieren und durch den lauten Alltag zu hetzen.
„Ich will nix hören und sehen.“ – Bei so einer Aussage ist klar, dass wir nichts mehr hören und sehen wollen. Wir haben die Nase voll – können auch nichts und niemanden mehr riechen. Die sprichwörtlich gemeinten Aussagen, haben meistens einen tieferen Sinn. Wir werfen uns dann die eigene Lustlosigkeit auch noch vor und stellen fest, wie blöde wir sind. Fehlanzeige. Wenn Sie in Ruhe Zeit zum nachdenken haben, fallen Ihnen auch die eigenen positiven Eigenschaften ein und Sie mögen sich wieder, wie Sie sind.
Produktivität und frische Ideen
Von Autoren wissen wir, dass sie sich oft in die Stille zurückziehen, um dann Meisterwerke zu schreiben. Doch auch wenn Sie kein Buch schreiben wollen, werden Sie merken wie produktiv sich die leise entspannte Zeit auswirkt. Gute Ideen entstehen und steigern unsere Lebens- und Arbeitsqualität. Es ist also nicht nur das gute Gefühl sondern etwas, was bleibt, auch wenn Sie in den lauten Alltag zurückgekehrt sind.
Auszeit – die Stille als Superkompensation
Wikipedia sagt: „Der Körper stellt nach einer Trainingsbelastung nicht nur die Bereitschaft zur Erbringung des gleichen Leistungsniveaus wieder her, sondern im Verlauf der Erholung (Regeneration) wird die Leistungsfähigkeit über das ursprüngliche Niveau hinaus gesteigert.“
Ja, jeder weiß, was man mal eine Weile abstellt, funktioniert danach viel besser. Musiker berichten ähnliches nach einer Probenpause.
Sie sind die Hauptperson in Ihrem Leben: Nehmen Sie sich deshalb Zeit für sich allein. Planen Sie Reisen nicht immer nur zugunsten der Familie, zur Fortbildung oder nach dem Motto: Es gibt nur einen großen Jahresurlaub. Nehmen Sie sich doch auch mal ein paar Tage für sich ganz allein.
Eigene Reisen/Zeiten erhalten die Freundschaft und stärken die Liebe. Sie kommen immer selbstbewusster zurück. Was dann sogar Respekt und manchmal auch Bewunderung im Gegenüber hervorruft. Werden Sie Eventmanager für Ihre Liebe. Reservieren Sie einen festen Zeitraum und planen Sie konkret schöne Momente ein.
So vermitteln Sie auch Ihren Kindern Werte, dass Stille für Groß und Klein wichtig ist. Das es nicht gut ist, immer zu funktionieren und verfügbar zu sein.
Gleiches gilt für Teams und Mitarbeiter. Auch sie brauchen Zeit in Stille, um leistungsfähig zu bleiben. Ich halte Homeoffice-Zeiten daher für eine zu selten genutzte gute Idee.
Mehr Zeit für mich – Stille für den Alltag
- Machen Sie einfach mal die Tür zu, ob im Büro oder Zuhause. Sogar kleine Kinder können das schnell lernen. Früher gab es eine Mittagsstunde. Ein anerkanntes positives Ritual. Akzeptiert und gut. Leider hat die kostbare Zeit der Stille im Zuge von höher, schneller, besser ihr gutes Image verloren. Kein Kind hat früher in der Mittagsstunde gewagt, zu stören. Danach waren die Eltern frisch und klar.
- Gehen Sie eine kleine Runde. In der Natur tanken Sie auf. Wer einmal die Stille auf einem Berge gehört hat, wird immer wieder einen Platz suchen, um dieses gute Gefühl aufzutanken. Lassen Sie die Stille Ihre Tankstelle sein.
- Schalten Sie ab und auf Flugmodus und fliegen Sie mit den eigenen guten Gedanken für kurze Zeit davon. Keine Sorge – alles, was Sie bewegt, ist dann immer noch da, wenn Sie wieder gelandet sind.
- Machen Sie mal ein schnelles Nickerchen in der Sonne. Manchmal muss man das wieder üben – doch es wirkt Wunder.
- Stehen Sie morgens ganz früh auf. Vieles erledigt sich viel effektiver und wie von Zauberhand. Das Schönste aber ist: Die Welt gehört Ihnen ganz allein in Ihrer Zeit der Stille.
Was auch immer gerade Ihr Problem ist und wo immer Sie auch gerade nach einer Lösung suchen – wenn Sie mehr vom Leben wollen, dann nehmen Sie sich eine Zeit der Stille dafür!
Frische Grüße von der Nordsee!